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Lebensfragmente :: Alles nur Projektion

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Die Farben tanzten vor seinen Augen Samba. Sie verwoben sich gemeinsam mit den Klängen sphärischer Musik zu bunten Gemälden, die Emil Nolde nicht schöner hätte malen können. Sie krochen an den rissigen Fassaden entlang, legten sich wie gläserne Decken über den spröden Rost der Industriekultur. Es war, als wollten die Figuren und Formen diesen längst verstummten Ort der Arbeit sanft umarmen, ihm leise ein „Alles wird wieder gut“ ins Ohr flüstern und ihn mit zärtlichen Küssen zu neuem Leben erwecken.

Er schwelgte in dieser Dialektik und genoss die Spannung, die von diesem Moment ausging. Waren das nicht genau die Momente, die ein Leben brauchte, um zur Ruhe zu kommen, ganz bei sich zu sein? Diese Momente in denen alles Eins wurde und man glaubte, endlich seinen Platz im Universum gefunden zu haben und angekommen zu sein? Diese perfekte Symbiose aus Vergangenheit und Zukunft, die sich im Hier zu einem perfekten Jetzt verband, wo es für den Moment keine Fragen gab, sondern nur ein einfaches Sein? Er schloss die Augen und lauschte in sich hinein.

  
Doch wie aus dem Nichts zerriss plötzlich dieser perfekte Moment. Als hätte jemand den Tonarm eines Plattenspielers einmal quer über das in traurigem Schwarz rotierende Vinyl gejagt. Das Geräusch schmerzte in seinen Ohren, er zuckte zusammen und hörte eine Stimme sagen: „Das ist alles nur Projektion. Das hat mit dem wahren Leben nichts zu tun. Wach endlich auf!“. Er kniff die Augen weiter fest zu, so als wolle er das Gehörte verdrängen. Als müsse er nur lange genug warten, bis es im Nirwana des Vergessens diffundierte. Doch die Rechnung ging nicht auf. Die Verdrängung, die ihn sonst so eisern über Wasser hielt, wollte sich nicht einstellen. Wie ein überladenes Schiff mit einem klaffenden Leck im Rumpf sank er innerlich zusammen.

Alles nur Projektion? Auf die inneren Leinwände geworfene Trugbilder, die von jetzt auf gleich verschwanden, weil jemand den Strom abgestellt hatte? Die ihn umgebende Dunkelheit schmerzte ihn körperlich, ihm fröstelte. Bis vor wenigen Augenblicken war ihm noch wohlig warm gewesen. Seine Gefühle hatten ihn gewärmt, ihm Halt geboten. Sie hatten sich wie eine sanfte Patina auf den rostigen Stahl gelegt und eine prima Projektionsfläche abgegeben. Nun war das Licht erloschen, er saß im Dunkel.

„Du hast dich getäuscht“, dachte er in die innere Stille hinein, und ihm war, als käme von irgendwo her ein Nachtwächter, der mit seiner kleinen Taschenlampe versuchte, den dunklen Raum um ihn herum abzuleuchten und ihm bei der Suche nach Antworten zu helfen. „Du hast Dinge sehen wollen, die so nicht da waren. Dinge, die Wunsch, nicht Wirklichkeit waren“, rief ihm die Stimme mit der tanzenden Taschenlampe zu. Es war, als würde ihm mit jedem Wort eine warme Decke, unter der er sich eingerichtet hatte, weggezogen. Mit jedem Wort mehr nahm der Prozess der Enttäuschung unaufhaltsam seinen Lauf. Er zitterte vor der Kälte, die anfing, an ihm herunterzukriechen. Dorthin, wo eben noch Wärme und Geborgenheit gewesen zu sein schienen.

Und mit jedem Zentimeter Kälte kam die Wut. Sie entsprang dem schlimmen Schmerz der Erkenntnis. Sie brüllte ins Dunkel, sie schimpfte, versuchte sich mit aller Macht zu wehren. Doch sie lief ins Leere. Die Wände um ihn herum warfen bei jedem zornigen Ausbruch ein unverholenes Echo zurück, das ihn wie ein aus dem Auge verlorenen gegangener Boomerang traf. „Für deine Projektionen bist nur du verantwortlich, niemand sonst“, hallte es ihm entgegen.

Er spürte, wie seine Körperspannung sank und seine Wut langsam der Traurigkeit wich. Tränen liefen über seine Wangen. Es war, als habe man ihn mit zusammengebundenen Händen vor einen aufghängten Sandsack gestellt und gesagt : „Nur gucken, nicht anfassen!“.

Dann umgab ihn Stille. Auch das Licht der tanzenden Taschenlampe war erloschen. Er war allein. Der Schmerz war kaum auszuhalten, egal wie oft er sich auch sagte, dass jede Enttäuschung am Ende ja nur die Aufhebung einer Täuschung sei und er nun immerhin nicht mehr aufgrund eines Irrtums agierte. Die Erkenntnis, am Ende selbst verantwortlich zu sein, war eine bittere. Und doch wusste er, dass er sie aushalten musste. Es gab keinen Entrinnen mehr.

Langsam schlug er die Augen auf und stellte fest, dass er mittlerweile allein war. Die Show war vorbei. Musik und Licht länst erloschen, die Menschen längst gegangen. Trotzig reckte er sich, stand langsam auf. Er blieb einen Moment regungslos stehen und dachte still nach, was nun zu tun sei. Und dann setzte er den ersten Schritt in die Luft. Und siehe, sie trug.


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